Weltalltage ein Listen-Roman von Paula Fürstenberg eine Rezension

Im Februar 2024 erschien bei Kiepenheuer & Witsch der Roman Weltalltage. Weltalltage ist das zweite Buch von Paula Fürstenberg,  Weltalltage ist der Gattung des Listen Romans zuzuordnen. Dass die Erzählerin im Roman sich selbst mit du anspricht, ist Anfangs ungewohnt, wird im Laufe der Zeit aber immer mehr  zu einem gelungenen Kniff des Erzählens

Weltalltage erzählt aus der Perspektive einer Namenlosen Erzählerin und von Max die zwei sind Freund*innen seit der Schulzeit, mit Anfang dreißig leben sie nun zusammen in einer WG. Max ist Architekt, die Erzählerin ist Schriftstellerin, sie ist seit ihrer Kindheit chronisch krank, sie hat immer wieder heftige Schwindelanfälle. Max ist über die Jahre zu einer wichtigen Unterstützung und Assistenz für sie geworden. Als Max selbst an Depression erkrankt, gerät dieses soziale Konstrukt ins Wanken.

Neben den Themen Freund*innenschaft und Krankheit und was es heißt, in einer kapitalistisch ableistischen Welt einen beeinträchtigten Körper zu haben, geht es  auch darum  was es bedeutet im Nachwende-Deutschland, also nach dem Anschluss der DDR in Ostdeutschland geboren zu sein und in einem westdeutsch dominierten Deutschland als Kind einer alleinerziehenden ostdeutschen Arbeiterin aufzuwachsen. Der Roman Weltalltage beginnt mit einer  Aufzählung  an möglichen Anfängen für einen Roman, den die Erzählerin schreiben möchte.  

Gleich zu Anfang des Buches wird deutlich, dass es in diesem Buch nicht um  Selbstoptimierung des Körpers geht, sondern vielmehr um gesellschaftliche Strukturen. Die Erzählerin  merkt sehr schnell, dass  wenn sie einen Roman über ihren besten Freund und Mitbewohner schreiben möchte, sie  nicht nur die Geschichte von Max erzählen kann, sondern auch ihre eigene und die Geschichte der Freundschaft zwischen den beiden erzählen muss.

Gleich zu Beginn des Buches  stellt sich die Erzählerin die Frage wie sie über Krankheit schreiben kann in einer Sprache, die häufig auf ableistische Metaphern setzt, Dass Paula Fürstenberg ihre Erzählerin für diese Kritik an der Sprache  auf die Metapher der Durchseuchung zurückgreifen lässt, ist der gelungene Anfang einer klaren aber sanften und nie verletzenden  Ironie die die Sprache des gesamten Buches durchzieht. Das Thema einer mit Metaphern durchsetzten Sprache kommt noch an einigen Stellen des Buches zur Sprache, wenn es um eine Sprache geht, in der über Krankheit gesprochen wird. Es geht dann z.B. um Liegen im Gegensatz zum Stehen oder  oft verwendete Kriegsmetaphern oder um Metaphern der Evolution, z.B. den sprichwörtlichen Säbelzahntiger. 

Im weiteren Verlauf der Geschichte geht es um die Themen Aufwachsen als Kinder Alleinerziehender Mütter Klassismus am Gymnasium um Freundschaft um Liebe als Missverständnis, die Gemeinsame Zeit  der Erzählerin und Max bei der Antifa um Nazis und das Aufwachsen in Ostdeutschland nach dem Anschluss der DDR. Ich mag die Idee von Max mit dem Antifa Denkmal, das dieser im Gedenken an die sogenannten Baseballschläger Jahre  und zu Ehren  der Antifa errichten will.

(Unschöne Erinnerungen kommen bei mir hoch als die Erzählerin ihre Ableismus-Erfahrungen in der Antifa schildert, die mit Schutz begründet wurden und die dazu führen das sie und Max nicht mehr in das besetzte Haus gehen wo sie vorher sehr viel Zeit verbracht hatten.  Auch die sogenannten Gummistiefelkinder finden hier das erste mal Erwähnung als Metapher  für Kinder, die behütet aufgewachsen sind. Diese Metapher birgt eine tiefe Wahrheit.

Die Erzählerin versucht über den Suizid von Max Onkel zu schreiben, Max damit nicht einverstanden  und  verbietet der Erzählerin  über seine Familie  zu schreiben. Max  droht damit  ihr auch zu verbieten, über ihn schreiben zu dürfen. Die Erzählerin ist aber überzeugt, dass die Geschichte von Max und seiner Familie erzählt werden muss, wenn sie über Max schreiben will, denn irgendwie war der Tod des Onkels ja eine der Ursachen, dass Max an Depression erkrankt ist. Max hat die unbegründete Angst, dass auch er früh sterben werde, da alle Männer in seiner Familie früh verstorben sind.

Die Erzählerin nimmt uns mit in eine Reflexion des ersten Jahres von Max Depression und in diesem Zusammenhang geht es unter anderem auch um eine eingekackte Unterhose und die damit verbundene Scham, als Person die aufgrund einer Beeinträchtigung eine Darmlähmung hat kann ich sagen dieses Ereignis sehr prägnant auf den Punkt gebracht. Ich kann verstehen, dass Max nicht möchte, dass die Erzählerin darüber schreibt, ich bin aber sehr froh, dass die Erzählerin sich über dieses  Verbot hinwegsetzt. Es kommt auch  zu einem Missverständnis zwischen der Erzählerin und Susan Sontag und zwar in Form des Buches  „Krankheit als Metapher“  die Einwände der Erzählerin zu dem Titel des Buches und seiner Abschreckenden Wirkung kann ich gut nachvollziehen die Zweifel lösen sich aber auf und das Buch wird zu  einer Lese-Empfehlung danke dafür.

Die Protagonistin nimmt die Leser*innen mit  auf ihre Suche nach einer Diagnose, für ihren Schwindel auf dieser Suche kommt es zu unerfüllten Wünschen, übergriffigen Tipps  die Erzählerin schreibt aber auch von ihrer Zufriedenheit darüber  die Volkswirtschaft zu schädigen. Die Erzählerin schreibt auch über die unterentwickelte Endometriose-Forschung.  Wenn mensch nach diesen Zeilen nicht den Drang hat, das Patriarchat zu zerschlagen, dann weis ich auch nicht mehr. Die Ausweglosigkeit  auf der Suche nach einer Diagnose beschreibt die Erzählerin als Sysifee eine Steigerung der Odyssee.

Siebten Kapitels regt sich bei mir das erste mal  Widerspruch die Metapher der zwei Länder  die,  die Erzählerin sich auf Susan Sontag beziehend in Bezug auf Krankheit und Gesundheit nutzt löst bei mir ungute  Assoziationen an das Konstrukt des Volkskörpers aus .…. 

Genial ist, ist wie im weiteren Verlauf  der internalisierte Ableismus der Erzählerin offen gelegt wird in dem sie eine Rollstuhl fahrende Person paternalistisch bemitleidet und sich einredet dass ihr Schwindel ja gar nicht so schlimm sei und die andere Person ja mehr leidet.

Es folgt eine Reflexion des Verhältnisses, das die  Erzählerin und Max  zu ihren Müttern haben   und was das mit Westdeutscher Dominanz, aber auch konkret mit dem Studium der Erzählerin und von Max in Westdeutschland zu tun hat.

Der Konflikt zwischen der Erzählerin und Max wie und ob sie die Geschichte ihrer Freundschaft erzählen darf,  läuft mit zunehmender Depression von Max  auf seinen Höhepunkt zu bis die Erzählerin einen Zettel auf dem Küchentisch findet auf dem ihr Max mitteilt dass er im Krankenhaus ist und sie ihn nicht anrufen oder besuchen kommen soll.

In der Folge  beschreibt die Erzählerin  sehr klug und emotional die acht Phasen von Freundschaftskummer. die Leser*innen erfahren auch noch sehr detailliert wie die Erzählerin einen Weltalltag durchlebt und sie nimmt uns Leser*innen mit auf eine Reflexion über Menstruationsschmerzen, rassistisch motivierte Medikamententests an Frauen und den männlichen Körper als Norm. 

Im vorletzten Kapitel  erzählt Max nach seiner Rückkehr von seinen Erlebnissen im Krankenhaus.

Als Abschluss des Buches Weltalltage folgt ein Manifest der Körper, dieses Manifestes hat es verdient, in einem eigenen Buch nochmal herausgegeben zu werden. Das Buch Weltalltage  ist genial es ist kein Wohlfühl-Buch für nicht-behinderte westdeutsche Gummistifelkinder aber gerade die sollten es lesen und verstehen Ich hoffe es bekommt viele Leser*innen.  https://www.ardaudiothek.de/episode/buch-lounge-mit-mona-ameziane/paula-fuerstenberg-und-ninia-lagrande-bei-mona-ameziane-zu-gast-in-der-buch-lounge-in-goettingen/ard-kultur/13220795/

Veröffentlicht in: Bücher & Spielzeug & Filme

 

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