Mit “Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden“ hat Raul Krauthausen nach “Dachdecker wollte ich eh nicht werden” und “Wie kann ich was bewegen” sein drittes Buch bei Rowohlt 2023 veröffentlicht. Raúl Krauthausen kämpft seit Jahren auf allen Plattformen – analog und digital – für Sichtbarkeit und gegen Diskriminierung von behinderten Menschen. Im Vorwort des Buches geht er darauf ein, wie er zum Aktivisten für behinderte Menschen wurde.
Er schreibt, dass dies nicht vorbestimmt war. Raul Krauthausen schreibt, dass die ihm am häufigsten gestellte Frage folgende ist: „Wie weit sind wir mit der Inklusion in Deutschland?“ Er gibt unumwunden zu, dass ihn diese Frage furchtbar nervt und dass er nicht Willens ist, diese zu beantworten, denn Inklusion könne nicht wie eine Checkliste abgearbeitet werden. Ich kann Raul Krauthausen gut verstehen. Im ersten Teil schreibt Krauthausen unter anderem darüber, was er unter Inklusion eigentlich versteht. Inklusion wird in der heutigen Diskussion leider viel zu oft auf behinderte Menschen begrenzt. Er spricht sich für eine intersektionelle Auslegung aus. Diesem Ansatz stimme ich zu. Raul Krauthausen grenzt Inklusion deutlich von Integration ab. In einem kurzen Abriss stellt er die Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention vor. In seinem neuen Buch schreibt er auch über die Macht der Sprache und geht dabei auf das Wort „behindert“ ein. In diesem Kontext wird von ihm das Konzept Heilerziehungspfleger deutlich kritisiert. Meines Erachtens überzeugend wird vor allem der Aspekt des Erziehens im Berufsbild Heilerziehungspfler*innen kritisiert. Als Erzieher und behinderter Mensch unterschreibe ich diese Kritik vollumfänglich. Unverständlich dagegen bleibt mir beim Lesen, warum Raul Krauthausen bis zu diesem Abschnitt des Buches schon mehrfach von „Förderschulen“ schreibt und nicht den richtigeren Begriff „Sonderschule“ nutzt. (Bei einer seiner Lesungen erklärte er dies damit, dass er mit der Verwendung des offiziellen Begriffs „Förderschule“ Diskussionen vermeiden wolle, welche vom eigentlichen Anliegen der Forderung nach deren Abschaffung der Sonderschulen ablenken würden. Meine Befürchtung dagegen ist, dass durch die Verwendung des Begriffs „Förderschule“ eher Unverständnis hervorgerufen wird, wenn mensch dann ihre Abschaffung fordert, was Raul Krauthausen eindeutig zu Recht tut. Des Weiteren geht er noch auf den Unterschied der Begriffe Behindertenfeindlichkeit, Ableismus und internalisierten Ableismus ein und kritisiert die Wohlfahrtsindustrie für mich nachvollziehbar und deutlich. Im zweiten Teil des Buches geht Raul Krauthausen im Gespräch mit anderen Aktivist*innen und Expert*innen auf ungelöste Fragen der Inklusion ein. Die Themen sind dabei barrierefreies Bauen, barrierefreie Kommunikation, Inklusion in Schule, in Arbeit, beim Wohnen, der Sexualität und in der Kultur. Das letzte Kapitel im zweiten Teil geht auf das Thema der Intersektionalität ein. Ich gehe an dieser Stelle auf drei Kapitel etwas genauer ein. Nämlich auf die Kapitel Bildung, Arbeit und Intersektionalität. Im Kapitel zu Bildung spricht Raul Krauthausen mit Tina Sander und Jutta Schöller. Tina Sander ist Mitgründerin des Elternvereins „mittendrin e.V.“ dieser hat sich Teilhabe und Inklusion für behinderte Kinder zur Aufgabe gemacht. Schulische Inklusion bildet dabei einen Schwerpunkt. Tina Sander spricht sich klar gegen Sonderschulen und deutlich für „eine Schule für alle“ aus. Sie bezieht auf Nachfrage die Abschaffung des Gymnasiums in ihre Forderung ein. Sie verweist darauf, welchen Widerstand diese Überlegung beim Bildungsbürgertum hervorrufen würde. Dabei spricht sie die Tradition der dreigliedrigen Regelschule im Ständestaat des 19. Jahrhundert an und auf deren Fortführung nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD. Meines Erachtens ist es schade, dass sie die DDR dabei unerwähnt lässt, da diese dieses Bildungsprivileg erfolgreich gebrochen hat, auch wenn es auch in der DDR bedauerlicherweise weiterhin Sonderschulen gab. Auch Raul Krauthausen geht nicht auf die DDR ein, auch nicht im Nachgang. Beide, Tina Sander und Raul Krauthausen, sprechen sich klar gegen das sogenannte Elternwahlrecht aus. Leider widerspricht sich Tina Sander, indem sie sagt, dass der Verein bei Elternberatungen keine klare Präferenz pro Regelschule hat, weil ihnen das übergriffig erschiene. Auch hier fasst Raul Krauthausen nicht kritisch nach.Weitere Themen sind die Lehrer*innen Perspektive auf Inklusion und die Lehrpläne. Dem Gesagten im zweiten Gespräch über Bildung mit Jutta Schöller stimme ich voll zu. Dass Raul Krauthausen in dem Kapitel über Schule nicht mit einer Schüler*in spricht, um diese Perspektive auch im Buch zu haben, finde ich bedauerlich. Auf das Thema Arbeit geht Raul Krauthausen im Gespräch mit Seven Papenbrock und Joachim Radatz ein. Beide Gesprächspartner sind in Projekten zur Beratung und besseren Vermittlung behinderter Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt. Sven Papenbrock ist ein ehemaliger Werkstattbeschäftigter. Raul Krauthausen befragt ihn erst über seine Arbeit in der Werkstatt, dann über seinen Kampf, um aus der Werkstatt rauszukommen. Sven Papenbrock fordert eine massive Reform des Werkstattsystems. Er fordert den Mindestlohn und die Öffnung der Werkstätten für behinderte Menschen, die in Tagesförderstätten betreut werden aber kein Anrecht auf Aufnahme in die Werkstatt haben, weil sie angeblich nicht einmal das geforderte Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit leisten könnten. Papenbock fordert bessere Chancen, die Werkstatt verlassen zu können wenn mensch das will. Raul Krauthausen fordert noch volle Arbeitnehmer*innenrechte: also z.B. Streikrecht und echte Betriebsräte. Mit Joachim Radatz spricht Raul Krauthausen über das Leistungsprinzip innerhalb der Werkstätten, welches eben dazu führt, dass es sogar Leute gibt, denen auf Grund der Schwere ihrer Beeinträchtigung der Zugang zur Werkstatt verwehrt wird. Die Werkstätten, sind also sowohl beim Zugang als auch bei der Vermittlung ihrer Mitarbeiter*innen auf den 1. Arbeitsmarkt, nicht inklusiv handeln. In der Schlussbetrachtung des Kapitels kritisiert Raul Krauthausen die Möglichkeiten, sich vor der Ausgleichsabgabe, die Unternehmen zahlen müssen, die zu wenig behinderte Menschen beschäftigen, drücken zu können, in dem die Firmen Aufträge an Werkstätten vergeben. Als Unding stellt er dar, dass diese Werkstätten auch Subventionen noch aus der Ausgleichsabgabe bekommen. Raul Krauthausen stellt einige Punkte auf, die aus seiner Sicht passieren müssen, dass es zu einem Inklusiven Arbeitsmarkt kommt. Durch das Scheinargument der Werkstattbefürworter*innen, es gäbe auch behinderte Menschen, die sich in den Werkstätten wohlfühlen, lässt sich Raul Krauthausen von der Forderung, deren Abschaffung zu fordern, abbringen.Meines Erachtens ist dieser Umstand mehr als bedauerlich. Es werden letztendlich nur noch Reformen gefordert, das ist für mich die bitterste Erkenntnis bei der Lektüre des Buches. Krauthausens Forderung nach Mindestlohn für Werkstättenmitarbeiter*innen schließe ich mich als Sofort-Forderung an, ebenso seiner Forderung, dafür zu sorgen, dass sich Unternehmen nicht mehr von der Ausgleichsabgabe freikaufen können. Seiner Forderung von mehr Subvention für die innerbetriebliche Ausbildung von behinderten Menschen widerspreche ich, da ich eine Pflichtquote bei der Ausbildung von behinderten Menschen für zeitgemäßer und im Sinne der Umsetzung der UN-BRK für dringend erforderlich halte. Denn wir brauchen nicht mehr Förderung für Unternehmen, dass sie Inklusion umsetzen, sondern stärkere Sanktionen, wenn sie ihrer Pflicht nicht nachkommen. Das wichtigste Kapitel im zweiten Teil ist aus meiner Sicht das, wo Raul Krauthause sich mit drei Aktivist*innen über die intersektionale Verschränkung der Kategorie Behinderung mit anderen Kategorien, die zu Marginalisierung führen, austauscht. Die vorgestellten Überlegungen sind Gold wert, alleine deshalb lohnt sich der Kauf dieses Buches. Im dritten Teil teilt Raul Krauthausen einige Gedanken zum Zusammenleben von wem mit und wie sich dadurch ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft bewirken ließe. Das Buch “Wer Inklusion will, findet einen Weg – Wer sie nicht will, findet Ausreden“ von Raul Krauthausen ist sehr lesenswert und wird von mir empfohlen.