Amanda Leduc Entstellt eine Buchrezension

Amanda Leduc untersucht in ihrem 2021 auf Deutsch erschienenen Buch Entstellt Märchen ihr Fokus ist dabei auf die Darstellung von Beeinträchtigung gerichtet.

In der Einleitung geht Amanda Leduc darauf ein, wie sie auf den Gedanken kam dieses Buch zu schreiben. Bei einem Waldspaziergang kam ihr der Gedanke: hier hätte es eine Prinzessin im Rollstuhl schwer – daraus entwickelte sich das Bedürfnis ein Buch aus der Sicht der Behindertenbewegung über das Bild von Behinderung in Märchen zu schreiben.

Amanda Leduc legt Wert darauf klarzustellen, dass sie aus ihrer Perspektive als weiße, behinderte Frau, die im westlichen Kontext aufgewachsen ist, schreibt sie verbindet dies mit der Aufforderung an weiße, behinderte Menschen, die Marginalisierung von Schwarzen und PoC Menschen mit Beeinträchtigung in der Behindertenbewegung zu beenden. Diesem Gedanken schließe ich mich an.

Amanda Leduc spricht bewusst von behinderten Menschen und nicht von Menschen mit Behinderung. Amanda Leduc schreibt, dass Behinderung als Metapher für Minderwertigkeit und Schlechtigkeit dient. Denn stets ist es das beeinträchtigte Individuum, das sich verändern und anpassen muss, nicht die Gesellschaft. Was dies mit Märchen zu tun hat, erklärt und weist sie auf mehreren Ebenen im Buch nach.

Amanda Leduc beschreibt, dass die meisten Märchen mit einem Problem beginnen. Dieses Problem ist recht häufig eine körperliche Beeinträchtigung. Sie beschreibt, dass es fast in allen Märchen eine Aufgabe zu lösen gibt und fügt dazu mehrere Beispiele, um welche Art von Aufgaben es gehen kann, ein. Dabei erwähnt sie, dass Märchen vom „Mädchen ohne Hände“ der Gebrüder Grimm und die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen, die ihren Prinz töten soll, um ihre Stimme wieder zubekommen. Beide Heldinnen erfüllen die Aufgabe und werden „geheilt“.

Amanda Leduc geht auf das Phänomen des Happy End im Märchen ein und sie stellt diesem erfolgreich verlaufende OP`s in der Realität von beeinträchtigten Menschen gegenüber, die sich oft wie kleine Happyends anfühlen. Der Alltag beeinträchtigter Menschen sieht häufig, aufgrund der Erfahrungen die sie im Alltag machen, aber nicht märchenhaft aus.

Auch ein Arztbericht zu ihrer Linkshändigkeit kommt zur Sprache, die Autorin beschreibt, dass die linke Seite des menschlichen Körpers schon immer als minderwertig gilt.

Amanda Leduc definiert Behinderung und geht dabei auf die zwei Modelle von Behinderung ein Erstens das soziale Modell – und Zweitens auf das medizinische Modell von Behinderung. Für mich wird daraus einmal mehr deutlich, dass „disabled“ als behindert ins deutsche zu übersetzen, keinen Sinn ergibt. Amanda Leduc setzt die Struktur vom medizinischen Modell von Behinderung und die Struktur von Märchen gleich. Ich finde diese These überzeugend.

Das Narrativ zu behinderten Protagonist*innen in Märchen lautet entweder können sie ihre Beeinträchtigung überwinden oder sie sterben. Dass die Protagonist*innen ihre „Mängel“ durch Magie überwinden ist auf den zeitlichen Kontext der meisten Märchen zurück zuführen in dem es noch keine Erfolge durch OP´s gab.

Amanda Ludec geht auf die Märchenfigur des Wechselbalgs ein, dabei handelt es sich, dem Volksglauben nach, um durch Feen ausgetauschte Kinder. Sie stellt die Überlegung an, dass es sich dabei real voraussichtlich um autistische Kinder handelte. Diese Kinder wurden früher oft ausgesetzt.

Amanda Leduc widmet sich in ihrem Buch den Märchen des 16. und 17. Jahrhunderts und geht dabei hauptsächlich auf Werke aus Deutschland und Frankreich ein. Sie weist dabei nach, dass in allen Strömungen, egal wie fortschrittlich sie sonst sind, behinderte Protagonist*innen nur ein Recht auf ein Happy End haben, wenn die Beeinträchtigung überwunden werden kann.

Amanda Leduc versäumt es auch nicht, auf die Begeisterung der deutschen Faschisten für Naturphilosophie einzugehen und beschreibt wie diese zu deren Politik der Vernichtung behinderter Menschen beitrug.

Auch die Gründung von Walt Disney wird eingegangen, und wie sich diese auf die Darstellung beeinträchtigter Körper im Märchen auswirkte. Ein guter und erschreckender Hinweis, vor allem für Menschen, die des Englischen nicht so mächtig sind, ist, dass der Name Scar des Bösewichts im Dschungelbuch Narbe bedeutet. Hier wird sehr tief in die Klischeekiste gegriffen: beeinträchtigt = böse. Amanda Ludec beschreibt überzeugend, wie Narrative über Beeinträchtigung in Märchen und Filmen diskriminierende Strukturen stabilisieren.

Und sie beschreibt, wie behinderte Menschen immer wieder erzählen, dass sie sich mit Märchen nicht identifizieren konnten, weil immer nur die Bösen behinderte Menschen waren. Im 5. Kapitel verwebt sie den Wunsch der kleinen Meerjungfrau laufen zu können mit ihrem eigenen.

Im weiteren Verlauf geht sie sehr ausführlich auf das Märchen „die Schöne und das Biest“ und auf „Rapunzel“ ein. Auch die Superhelden der Marvelreihe sind Thema. Noch ein anderer Superheldenaspekt kommt zur Sprache: nämlich der, dass man von der Nichtbehinderten Umwelt oft für ein*e Superheld*in gehalten wird, weil man so mutig und heldenhaft mit der eigenen Beeinträchtigung zurecht kommt. Was durch Aussagen wie: „ ich könnte das ja nicht…“ verbunden wird.

Dass die eigene Biographie durch die Autorin immer wieder zur Sprache kommt ist berechtigt. Leider kommt das oft so unvermittelt dass es mich erst einmal kurz verwirrte obwohl es sich stets um sehr nachvollziehbare Aspekte handelte.

Das Buch „Entstellt“ von Amanda Leduc sollte ab jetzt in jedem Fachbuchregal für Erzieher*innen stehen.

Amanda Leduc

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