Warum sie uns hassen: Sexarbeitsfeindlichkeit. Eine Rezension.

Am 7.5.2025 ist im Verlag Edition Assemblage das Buch „Warum sie uns hassen – Sexarbeitsfeindlichkeit“ von Ruby Rebelde erschienen. Ruby Rebelde lebt in Hamburg von Sexarbeit und politischer Bildung über christlichen Fundamentalismus, Rechtsextremismus und Feminismus.

Die Einleitung des Buchs beginnt mit einer Episode. Darin schreibt Ruby Rebelde über ihr im Jahr 2015 unfreiwillig erfolgtes Outing als Sexarbeiter*in. Ruby beschreibt, welche negativen Konsequenzen dies für ihr Leben hatte. Diese Episode macht erschreckend deutlich, warum in der Sexarbeit arbeitende Menschen, dies oft geheimhalten.

n den nächsten Abschnitten folgen Anmerkungen zur Begrifflichkeit Sexarbeit. Ruby Rebelde beschreibt die deutsche Debatte um die Selbstbezeichnung Sexarbeit und wie rückschrittlich diese Debatte in Deutschland im weltweiten Vergleich ist. Sogar US-amerikanische Rechtstexte nutzen den Begriff „Sex Work“ – obwohl fast auf dem gesamten Gebiet der USA Sexarbeit gesetzlich verboten ist. In Deutschland wird in der Diskussion um Sexarbeit bis heute meist die Fremdbezeichnung Prostitution oder andere von vielen Sexarbeiter*innen abgelehnte Begriffe verwendet. Ruby Rebelde klagt zurecht an, dass in den letzten 150 Jahren über, statt mit Sexarbeiter*innen gesprochen wurde. Die Allianz derer die Sexarbeit verbieten wollen und Sexarbeitende stigmatisieren, reicht dabei von Linken, Frauenrechtler*innen bis hin zu äußerst rechten und christlich-fundamentalistischen Kräften.

Das Ziel ist dabei immer die Abschaffung der “Prostitution”. Sexarbeiter*innen werden ausnahmslos als Opfer von Menschenhandel konstruiert. Lösungsvorschläge zur Verbesserungen der Situation von Sexarbeiter*innen werden nicht ernst genommen. Im Buch folgt ein Abschnitt zum Begriff Hurenstigma. In zwei weiteren Abschnitten geht Ruby Rebelde darauf ein, wie es Sexarbeiter*innen in der Covid-Pandemie erging und wie Sexarbeitsgegner*innen die Pandemie nutzten um ihrem Ziel einer „Welt ohne Prostitution” näherzukommen. Im nächsten Abschnitt geht die Autor*in darauf ein, wie wichtig die Sensibilisierung für Sexarbeitsfeindlichkeit als Diskriminierungsform ist.

Im ersten Hauptteil von „Warum sie uns hassen“ gibt Ruby Rebelde eine kurze Einführung dazu, was Sexarbeit ist und welchem „Bullshitbingo“ Sexarbeitende ausgesetzt sind, wenn sie öffentlich machen, was sie arbeiten. Ruby Rebelde beschreibt, wie die Mechanismen der Verdrängung von Sexarbeitenden seit dem Mittelalter wirksam sind, diese Verdrängung wird heutzutage durch sogenannte Sperrbezirke geregelt. Es folgt eine Auseinandersetzung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, die zeigt, warum dieses Gesetz bei Sexarbeitenden nicht greift.

Darauf folgt eine Erörterung der Frage, wie sich Sexarbeitsfeindlichkeit gesamtgesellschaftlich auswirkt und wie sie sich anfühlt auf individueller, materieller, institutioneller und kultureller Ebene.

Ein sehr ausführlicher Exkurs zur Verfolgung von als „asozial“ stigmatisierten Menschen im Faschismus, umreißt, dass zu dieser Verfolgtengruppe auch Sexarbeiter*innen gehörten. Für mich als behinderten Leser tauchten hierbei bekannte Strukturen der Anstaltsunterbringung und Zwangssterilisierung auf. Auch die Täter*innen waren teils dieselben. Für als „asozial“ Verfolgte und insbesondere für Sexarbeiter*innen, war die Verfolgung nach 1945 nicht beendet, sowohl in der BRD als auch in der DDR gab es weiterhin einen „Asozialen-Paragraph“.
Die „Tripperburgen“ in der DDR, in denen unter anderem unter Sexarbeitsverdacht stehende Personen eingewiesen wurden, sind eines der dunkelsten Kapitel der DDR. Sehr ausführlich geht Ruby Rebelde auch auf die sexarbeitsfeindlichen Narrative der
sogenannten ersten Frauenbewegung ein. Ruby Rebelde weist nach, das auch mit erlogenen, erfundenen oder inszenierten Geschichten gearbeitet wurde, bei denen Sexarbeitsfeindlichkeit mit Antisemitismus und Rassismus verschränkt wird. An dieser Stelle wurde mir bewusst, dass einige Angehörige der frühen Frauenrechtler*innen, die gegen Sexarbeitende agitierten auch Eugeniker*innen waren, was bei genauerem Hinsehen, nicht verwundert.

Im zweiten Hauptteil von „Warum sie uns hassen“ geht es um die Analyse der medialen Berichterstattung über Sexarbeit.

Ruby Rebelde hat 2021 ein Pressearchiv mit 650 Medienbeiträgen zum Thema Sexarbeit angelegt und sich und anderen damit einen Überblick über die mediale Debatte zum Thema Sexarbeit verschafft. Für die darin sichtbar werdenden Mechanismen prägte Ruby den Begriff „Prostitutionstheater“, zu diesem Begriff und was damit gemeint ist, erschien ein Beitrag im Sammelband „Fragile Fäden“ (ebenfalls erschienen bei Edition Assemblage). Im Text „Prostitutionstheater: Sexarbeit im Kapitalismus – eine Debatte auf Abwegen“ beschreibt Ruby Rebelde, wieso der aktuelle Diskurs vor allem ein Verbot von Sexarbeit erörtert. Das schadet Sexarbeitenden, also genau denjenigen, die die Sexarbeitsgegner*innen, angeblich befreien wollen. Ruby Rebelde benennt dabei die Akteur*innen des „Prostitutionstheaters“ und weist nach, wie erforderliche Verbesserungen der Lebens – und Arbeitsbedingen von Sexarbeiter*innen durch das „Prostitutionstheater“ verhindert oder erschwert werden.

Ruby Rebelde spricht an, was echte Verbesserungen wären: Es braucht erschwingliche Mieten für die Räume in den Betriebsstätten (Bordelle), die Sexarbeiter*innen anmieten müssen, um arbeiten zu dürfen. Flächendeckende gewerkschaftliche Organisierung, Arbeitsschutz in den Betriebsstätten muss verbindlich und einklagbar sein. Zudem sollte die Ablehnung, die Sexarbeiter*innen erleben, endlich als Diskriminierung anerkannt werden.

Es folgen weitere Analysen der sehr einseitigen und negativen Berichterstattung über Sexarbeit und Sexarbeitende. Besonders erschreckend ist, dass die Berichterstattung fast ohne Sexarbeitende als Gesprächspartner*innen auskommt. In nur 12% der Artikel werden aktive oder ehemalige Sexarbeitende zitiert (und darunter sind bereits Stimmen mitgezählt, die sich für mehr Verbote einsetzen).

Im dritten Teil von „Warum sie uns hassen“ macht Ruby Rebelde deutlich, warum Sexarbeitsfeindlichkeit als antifeministische Gewalt begriffen werden muss. Danach analysiert die Autor*in die Netzwerke der Anti-Sexarbeits-Bewegung. Sehr detailreich geht Ruby Rebelde dabei auf die einzelnen Spektren der Antisexarbeitsbewegung ein von Frauenrechtlerinnen, christlich fundamentalistischen bis hin zu ultra-konservativen Akteurinnen. Leider gibt es auch „linke“ Sexarbeitsgegner*innen, nicht selten aus marxistisch orientierten Organisationen. Gerade diese sollten sich aus meiner Sicht lieber um die Anerkennung von Arbeiter*innenrechte für Sexarbeiter*innen kümmern als durch Forderungen nach einer „Welt ohne Prostitution“ fragwürdige Moralpolitik zu propagieren. Der Abschnitt über die linken Sexarbeitsgegner*innen hätte gerne etwas länger sein können.

Ruby Rebelde geht auch auf Schlüssel Persönlichkeiten der Netzwerke ein und sie macht das „Personalkarussell“ zwischen den einzelnen Bündnissen deutlich. Ein Teil dieser Netzwerke macht sich auch in der kirchlichen Wohlfahrt oder anderen Trägern der Sozialen Arbeit breit und schafft es mittlerweile zunehmend akzeptierend arbeitende Beratungsstellen für Sexarbeitende zu verdrängen. Ruby Rebelde geht auch auf das Konzept einer „Welt ohne Prostitution“ ein und erklärt, warum dieses Konzept gefährlich und antidemokratisch ist. Im Gegensatz zu den Antisexarbeitsallianzen, die Sexarbeit mit Menschenhandel gleichsetzen, macht die Autor*in deutlich, was der Unterschied ist und warum diese Gleichsetzung Opfern von Menschenhandel schadet.

Ruby Rebelde geht auch auf die Klage ein, die der sexarbeitsfeindliche Sisters e.V seit mehr als zwei Jahren führt. Dort wird auch die mangelnde Solidarität aus der Zivilgesellschaft angesprochen. Meine volle Solidarität hat Ruby Rebelde.
Ruby kritisiert die Ignoranz anderer um Selbstbestimmung kämpfender Gruppen gegenüber Sexarbeitsfeindlichkeit und macht darauf aufmerksam, dass sexarbeitsfeindliche Gruppen oft diejenigen sind, die sich in Bündnissen wie „Demo für alle“ oder gegen das Selbstbestimmungsgesetz oder auch gegen Schwangerschaftsabbrüche engagieren.

Sehr bemerkenswert erscheint mir, wie Ruby Rebelde mit inneren Widersprüchen innerhalb der Sexarbeitsbewegung umgeht. Darin enthalten ist deutliche Kritik an zu engen Bündnisse von Sexarbeitenden und Betreibenden. Transparent und unmissverständlich spricht die Autor*in über die in Teilen der Sexarbeitsbewegung und unter Betreibenden von Bordellen vorherrschende nicht selten mit Verschwörungserzählungen gepaarte Rechtsoffenheit.

Ein wichtiger Teil des Buches „Warum sie uns hassen“  beschäftigt sich auch damit, was getan werden muss, damit sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen wirklich verbessern.

Im Anschluss an den dritten Hauptteil folgen drei Interviews mit Personen, von denen Rebelde findet, dass ihre Stimmen in der Debatte bisher fehlen.

Den inhaltlichen Abschluss des Buches bildet eine Episode, in der Ruby Rebelde auf eine Störaktion von sexarbeitsfeindlichen Akteurinnen bei einer Veranstaltung zu Sexualassistenz/Begleitung (Bezug nimmt). Sexualbegleitung/Sexualassistenz ist ein Angebot in der Sexarbeit, das sich an behinderte Menschen richtet. Der Angriff auf die Veranstaltung und die Referentin, der meine volle Solidarität gilt, richtet sich durch die totale Ablehnung von Sexarbeit, auch gegen behinderte Menschen und ihre selbstbestimmte Sexualität. Der Vorwurf, dass behinderte Menschen von Sexarbeiter*innen instrumentalisiert werden, weise ich mit größter Empörung zurück. Diejenigen, die behinderte Menschen instrumentalisieren, sind eindeutig in den Antisexarbeitsnetwerken zu verorten, sog. Lebensschützer*innen, die Wohlfahrt und dabei meist christliche Träger, die im Namen ihrer überkommenen Sexualmoral, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Beeinträchtigungen behindern.

Warum sie uns hassen“ ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von Sexarbeitsfeindlichkeit. Danke dafür. Es gibt gute Gründe warum sich behinderte Menschen mehr mit den Kämpfen für Selbstbestimmung, und also auch mit den Kämpfen von Sexarbeiter*innen verbünden sollten.
Das Buch „Warum sie uns hassen“ ist eine absolute Empfehlung.

https://rubyrebelde.com/aktivistin/recherche/

https://www.edition-assemblage.de/buecher/warum-sie-uns-hassen/

https://inklusion-statt-integration.de/behinderte-menschen-und-sexarbeiterinnen-solidarisch-seite-an-seite/

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