Am 19. Juni ist das Buch „Behindertenrechte in die Verfassung!” “Der Kampf um die Grundgesetzergänzung 1990-1994“ von H.-Günter Heiden erschienen im Beltz Verlag. In diesem Buch wird der Prozess der Aufnahme des Satzes „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes beschrieben. Das Buch ist erschienen im Verlag Beltz Juventa. Das Buch erscheint nicht zufällig gerade jetzt, die Grundgesetzergänzung jährt zum 30. mal. Das Buch ist die erste umfangreiche Dokumentation des erfolgreichen Kampfes der Behindertenbewegung für die Änderung des Grundgesetzes in den Jahren 1990-1994. H.-Günter Heiden, der Autor war Teil dieser Bewegung. Theresia Degener steuert ein hervorragendes Vorwort bei und Sigrid Arnade ein ebenso gutes Nachwort. H.-Günter Heiden geht erst der Frage nach, warum behinderte Menschen in der Fassung des Artikel drei des Grundgesetzes von 1949 “vergessen” wurden und er kommt zu dem ernüchternden Fazit, sie wurden nicht einfach nur vergessen…. Dem Hauptthema des Buches dem Kampf um die Grundgesetze Ergänzung widmet sich der Autor mit großem Detailwissen rund um die Akteur*innen von den von den selbst betroffenen behinderten Menschen bestehenden gegründeten und Gruppen, Initiativen und Bündnissen über die klassischen Behindertenverbände der Wohlfahrt bis hin zu den politischen Entscheidungsträger*innen der damaligen Zeit gerade letztere waren mit teils mit haarsträubenden Argumenten gegen Antidiskriminierungsgesetze und die Grundgesetzergänzung die größte Enttäuschung für die Behindertenbewegung war wohl in dieser Zeit Wolfgang Schäuble der zu dieser durch ei Attentat zum Rollstuhlfahrer wurde und wo eine große Hoffnung hatten er würde zu ihrem Verbündeten. Das Buch nimmt die Leser*innen mit zu Sitzungen und Konferenzen und macht die Aushandlungsprozesse über Formulierungen und Ziele des Kampfes für die Grundgesetzergänzung und ein Antidiskriminierungsgestzt transparent die Fortschritte aber auch die immer wieder Auftretenden Rückschritte. In diesem Kampf ging es darum behinderte Menschen von Objekten der Sozialen Fürsorge zu selbstbestimmten Subjekten und Träger*innen von Menschenrechten zu machen.
Sehr spannend fand ich auch zu erfahren, welche Länder für die Deutsche Behindertenbewegung neben den USA als Vorbild galten. Auch offensichtlich wird durch die Lektüre des Buches deutlich, wie wichtig der Historische Moment war der sich durch den Anschluss der DDR an die BRD und die sich daraus entwickelnde Verfassungsdiskussion ergab für die Durchsetzung der Ergänzung des Artikels 3 im Grundgesetz war. Spannend ist auch die Entwicklung der Verfassungen der Bundesländer, die teils vor und teils nach der Grundgesetzergänzung von Artikel 3 das Merkmal Behinderung aufnahmen.
Erschreckend ist für mich, wie wenig die Männer der Behindertenbewegung der 1990 die Bedürfnisse der behinderten Frauen mitgedacht haben. Andere Kämpfe wie z.B. der der LGBTQUA* Bewegung für die Ergänzung von Artikel 3 um die Merkmale sexueller Identität und/oder Orientierung wurden in den Textvorschlägen wie Artikel 3 um das Merkmal Behinderung/Beeinträchtigung ergänzt werden sollte. völlig ignoriert, auch diejenigen Gruppen die vor allem für die Aufnahme von Sexueller Identität und oder Orientierung kämpfen vergaßen das Merkmal Behinderung/ Beeinträchtigung zu erwähnen, hätten die Gruppen intersektional zusammengearbeitet wäre vielleicht mehr drin gewesen..
Wichtig erscheint mir auch die im Buch angedeutete Debatte, ob bei der Grundgestzergänzung von Beeinträchtigung oder Behinderung gesprochen werden sollte. Aus meiner Sicht wurde sich für die falsche Version entschieden, denn wir sind nicht behindert wir werden behindert.
Artikel 3 Lautet seit 1994
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Absatz 3 sollte mittlerweile aus meiner Sicht so lauten:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität, seiner sexuellen Orientierung Abstammung, aufgrund rassistischer Vorurteile, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Beeinträchtigung benachteiligt werden.
Ein paar Anmerkungen von mir die nichts direkt mit dem Buch zu tun haben: Die Deutsche Behindertenbewegung hätte aus meiner Sicht im Zuge des Anschlusses der DDR darauf bestehen müssen, das Artikel 24 der DDR Verfassung zum Recht auf Arbeit in seiner Intention übernommen wird sprachlich hätte er leicht verändert werden können
„Art. 24. der DDR Verfassung: Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. „Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation.”
Heute müsste er so lauten.
Jede*r Bürger*in hat das Recht auf Arbeit. Er* oder Sie* hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend der persönlichen Qualifikation.”
Auch die geschützten Betriebsabteilungen wie es sie in der DDR in jedem VEB gab und die kurz im Buch lapidar erwähnt werden hätten aus sicht der Behindertenbewegung übernommen und in jedem Betrieb eingeführt werden müssen sie hätten so in einem ersten Schritt hin zur Inklusion die Werkstätten für behinderte Menschen ersetzt
Das Buch „Behindertenrechte in die Verfassung!” “Der Kampf um die Grundgesetzergänzung 1990-1994“ bekommt von mir eine Empfehlung