“Eugenik und Sozialismus“ von Birgit Lulay eine Rezension

2021 erschien im Franz Steiner Verlag das Buch “Eugenik und Sozialismus“ Untertitel “Biowissenschaftliche Diskurse in den sozialistischen Bewegungen Deutschlands und Großbritannien um 1900” Autorin des Buches ist Birgit Lulay.

Das Buch ist in 9 Abschnitte aufgeteilt jeder Abschnitt hat mehrere Unterkapitel. Aus meiner Sicht ist der Titel Eugenik und Sozialismus irreführend weil es im Buch  vor allem um  Sozialdemokratie in zwei kapitalistischen Staaten . Birgit Lulay arbeitet sehr detailliert heraus, wie einige sozialdemokratische Intellektuelle in Deutschland und Großbritannien ihren sozialistischen und Frauen bewegten Forderungen wie wirtschaftliche  und soziale Gleichheit Eugenik Konzepte hinzufügten. In ihrer Konzeption von Eugenik distanzierten sich die sozialistischen Eugeniker*innen mehr oder weniger glaubwürdig von der dominierenden bürgerlichen, meist anti-sozialistischen, rassistischen, und armen-feindlichen Mehrheit Strömung der  Eugenik.

Die Abgrenzung zu rassistischen Theorien ist mehr oder weniger deutlich je nachdem ob es  den sog. sozialistischen Eugeniker*innen nur um die Stärkung der  Arbeiter*innenklasse oder auch um die Stärkung des Volkes ging und ob von Rassen oder von Rasse¹ aber auch ob von Rassen oder Sozialhygiene gesprochen wird. Auch die Distanzierung vom armutsfeindlichen Charakter der bürgerlichen Eugenik ist graduell unterschiedlich nämlich in dem Maße in dem das sogenannte Lumpenproletariat² biologisiert. Einig sind sich die sozialistischen Eugeniker*innen darin dass das Proletariat der edelste Teil der Bevölkerung ist auch einig waren sie sich in ihrer Feindlichkeit gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung  und  kranken Menschen Eugenik ist immer auch in ihrer pseudo-sozialistischen Variante die zweit stärkste  Form des Ableismus nur noch getoppt von Euthanasie.

Die Vorschläge für eine gezielte Fortpflanzungssteuerung die die  sozialistischen Eugeniker*innen machen  waren in Drei Kategorien aufgeteilt

1. Positive Eugenik setzte auf Aufklärungskampagnen, finanzielle Anreize und sozialpolitische Maßnahmen für die „gesunden“ Teile der Arbeiter*innenklasse um die Vermehrung der sog. Degenerierten zu verhindern.

2. Negative Eugenik setzte z.B. auf Zwangsmaßnahmen, darunter Sterilisation und Zwangsabtreibungen und Internierung um die Vermehrung der sog Degenerierten zu verhindern . 

Die 3. Variante war die sog  Positive Zuchtwahl dabei setzten die  Sozialistischen Eugeniker*innen darauf das im Sozialismus alle Zwänge weg fielen sich einen Ehemann zu suchen und sich Frauen dann nur noch die genetisch „wertvollen“ Männer aussuchen und somit den genetisch weniger „wertvollen Menschen die Fortpflanzung verwehrt bleiben würde.

Die meisten der sozialistischen Eugeniker*innen sprachen sich dafür aus mit eugenischen Maßnahmen erst im Sozialismus zu beginnen denn erst dann wären die gesellschaftlichen Faktoren beseitigt die die Degeneration der Bevölkerung vorantreiben und es bleiben nur die Biologischen Faktoren übrig die dann mit eugenischen Maßnahmen “ausgemerzt” werden müssen.

Im Laufe des Buches wird auch deutlich dass die Mehrheit derer die in der sozialistischen Bewegung eugenische Theorien aufgegriffen haben dem revisionistischen Teil der Sozialdemokratie zuzuordnen sind, also dem Teil der eher für ein evolutionäres  hinübergleiten in den Sozialismus steht als für den Teil der den revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus suchte das gilt aber  nicht für alle. 

Die zwei prominentesten Vertreterinnen die dem revolutionären Flügel zuzuordnen sind und trotzdem mit eugenischen Ideen liebäugelten waren leider Rosa Luxemburg und  Clara Zetkin,  hier sollte eine weitere Beschäftigung und Aufarbeitung auch in kommunistischen Zusammenhängen stattfinden zwei weitere Vordenker der Sozialdemokraten die im Buch Erwähnung finden, sind Kautzky und Bebel. Aus meiner Sicht wäre es gut gewesen den Zeitraum den das Buch behandelt bis in die 1940 Jahre auszuweiten und den Umgang  der Sowjetunion als erstes sozialistisches Land mit Eugenik und Eugeniker*innen in den ersten Jahren mit aufzunehmen zu können  der einzige Satz der zur Sowjetunion im Buch schon in der Einleitung fällt sagt das sich Eugenik in der Sowjetunion nicht durchsetzte führt das aber darauf zurück dass Ideologie statt Wissenschaft die sowjetische Politik dominierte das klingt seltsam danach als wäre das Abdriften einiger Sozialdemokraten eine logische Folge damaliger wissenschaftlicher Erkenntnisse und somit nach Rechtfertigung diesen Eindruck kann Birgit Lulay aber wieder abstreifen. Birgit Luley hat mit Eugenik und Sozialismus  ein wichtiges Buch geschrieben. Aus meiner Sicht stellt Eugenik einen Verrat am Sozialismus da.

¹ Heute ist klar das die Rassekonstruktion auch in der Einzahl auf den Menschen nicht zutrifft.

² den  Begriff Lumpenptoletariat finde ich heute problematisch.
„Zum Lumpenproletariat nach Karl Marx zählten die „zerrütteten Lebeherren mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Herkunft, verkommene und abenteuerliche Ableger der Bourgeoisie, Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Tagediebe, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Zuhälter, Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz, die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse. Wenn sie auch in die proletarischen Revolution „stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert“ werden würden, so würden sie doch ihrer ganzen Lebenslage nach „bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen“. Als „Mobilgarde“ der Reaktion sah Marx im Lumpenproletariat eine Gefahr.  Marx beschrieb ein Soziales Phänomen  er biologisierte dieses aber nicht.

https://inklusion-statt-integration.de/behinderte-menschen-in-der-sowjetunion-eine-rezension/

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