Ableismus geht uns alle an „Behindert und Stolz“ von Luisa L’Audace“

Mit „Behindert und Stolz“, erschienen 3.12.2022 bei Eden Books, 383 Seiten. 18.95 € (DE) / 19.50 € (AT) ISBN: 978-3-95910-383-1, ist Luisa L’Audace ein gutes und wichtiges Buch gelungen. Das Buch trägt den Untertitel „Warum meine Identität politisch ist und Ableismus uns alle etwas angeht“.

Luisa L`Audace ist eine der bekanntesten Stimmen in der deutschen Behindertenbewegung. Luisa ist eine behinderte und queere Aktivistin sowie Beraterin für Inklusion und Antidiskriminierung. Mit ihrem Buch, aber auch schon vorher auf Social Media, hat Luisa L’Audace viel dazu beigetragen Ableismus, also die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigung/behinderten Menschen als Gesellschaftliches System zu erklären.

Luisa L`Audace wächst als einziges behindertes Kind in einem Dorf auf. In ihrem Buch erklärt Luisa L`Audace, dass ihre diskriminierenden Erfahrungen keine rein individuellen Erfahrungen sind, sondern die Diskriminierung behinderter Menschen ein Gesellschaftliches System ist (Ableismus).  Luisa L’Audace macht das an Erfahrungen deutlich, wie z.B. warum sie im Sportunterricht immer als letzte gewählt wurde, oder warum ihre Freundinnen plötzlich ab einem gewissen Alter nicht mehr neben ihr sitzen wollten.

Ein sehr wichtiges Erlebnis für sie war, als sie mit 14 Jahren einen Rollstuhl bekam und sich zum ersten Mal in ihrem Leben frei fühlte. Doch mit der neu gewonnenen Mobilität nahmen auch die Anfeindungen zu. Ihr wurde unterstellt, zu faul zum Laufen zu sein, bzw. sich nicht genug anzustrengen zu wollen. Einen Rollstuhl zu nutzen solange mensch einen Rest an Gehfähigkeit besitzt, stieß Anfang der 2000er Jahre noch kaum auf Verständnis.

Luisa L`Audace berichtet von Mobbingerfahrungen und als sie sich deshalb Hilfe holte, ihr ihre Lehrer*innen vermittelten, dass sie selbst schuld sei, dass ihr all diese schrecklichen Dinge angetan wurden. Sehr gut beschrieben wird im Buch, dass die Zeit auf einem Internat für behinderte Menschen für sie in einer bestimmten Phase hilfreich war. Sie spricht sich aber auch klar gegen Sonderschul – und Wohnformen für behinderte Menschen aus und bezeichnet diese als gesellschaftliches Problem.

Ein Aspekt, der im Buch an mehreren Stellen ausführlich behandelt wird, ist der Kampf um Selbstdefinition und Selbstbezeichnung den behinderte Menschen führen. Das dieses Thema ein weites Feld ist, wird dann deutlich, wenn sich Luisa L`Audaces gegen den Begriff „Menschen mit Beeinträchtigung“ ausspricht und stattdessen nur die Verwendung der Bezeichnung „behinderte Menschen“ für legitim hält. Sie setzt aus meier Sicht somit Behinderung und Beeinträchtigung gleich und lehnt die Bezeichnung „Menschen mit Beeinträchtigung“ deshalb ab Warum sie beides gleichsetz versteht mensch nur, wenn diese*r ihre Kritik am Sozialen Modell von Behinderung, und die damit verbundene Feststellung „Menschen sind nicht behindert sondern werden behindert“ mitzudenken in der Lage ist und für richtig hält.

Da ich ihre Kritik nicht teile Nachfolgend ein kleiner Diskurs, der mit dem Buch direkt nichts zu tun hat. Die Trennung zwischen Beeinträchtigung und Behinderung für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen halte ich nämlich für sehr hilfreich, solange unsere Gesellschaft nicht inklusiv und somit strukturell ableistisch ist. Denn die Definition der UN- Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) für behinderte Menschen lautet. „Wer zu der Gruppe von Menschen mit Behinderungen zu zählen ist, wird in Artikel 1 Satz 2 der Konvention festgehalten: Dazu gehören“ „Menschen die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“Ich, z.B., wurde mit Spina bifida geboren und auch in einer noch so inklusiven und antiableistischen Gesellschaft werde ich Beeinträchtigungen haben, in meinem Fall Lähmungen in Blase und Darm. Ein behinderter Mensch werde ich dann aber nicht mehr sein, sondern lediglich ein Mensch mit Beeinträchtigungen. Als Mensch mit Beeinträchtigung bezeichne ich mich aber trotzdem, denn der  Ableismus ist in unseren kapitalistischen Gesellschaft  systemisch ist und nicht nur punktuell das prägt meine Identität.  Einige behinderte Menschen folgern daraus  der Ableismus  ist so stark dass für sie  obwohl sie als Mensch mit Beeinträchtigung geboren wurden  der Ableismus ihre Identität so prägt dass der Aspekt  der Beeinträchtigung vollkommen irrelevant wird tatsächlich fällt  die Bewusstwerdung über die eigene Beeinträchtigung meist zusammen  mit der Bewusstwerdung von Diskriminierung durch die Gesellschaft.

Ich denke es ist aber wichtig z.B. über die eigene Spina bifide zu sprechen ohne das der soziale Kontext des behindert werden eine Rolle spielt, und dann ist Beeinträchtigung der richtige Oberbegriff. Was meines Erachtens im Diskurs um behinderte Menschen noch deutlicher werden muss, ist, dass nicht nur Menschen mit Beeinträchtigungen behindert werden, sondern auch taube Menschen oder neurodiverse Menschen. Diese Gruppen von Menschen, die in einer Antiablistischen inklusiven Gesellschaft nach ihrem Selbstverständnis keine Beeinträchtigungen mehr haben werden, denn Gebärdensprache wird anerkannt, die Kultur tauber Menschen wird voll akzeptierter Teil der Kulturlandschaft, und neurodivers zu sein wird als anerkannter Teil einer Vielzahl von Verhaltens und kognitiver Verarbeitungsprozesse. Damit unterliegen diese nicht mehr dem Othering durch die Mehrheitsgesellschaft Ein sehr wichtiges Kapitel im Buch ist jenes über sexualisierte Gewalt und die Verweigerung Sexueller Selbstbestimmung. Die Einschätzung von Luisa L`Audace über den Stand der Inklusion und ihre Überlegungen zu einem gemeinsamen Kampf gegen Ableismus, teile ich.

Irritiert hat mich der Begriff „Förderschule“, der im Buch verwendet wird. Damit ist sie nicht alleine, denn auch von anderen Behindertenaktivist*innen wird, aus mir unverständlichen Gründen, dieser Begriff verwendet. Für mich sind und bleiben diese Schulen Sonderschulen denn ihre Aufgabe neben der Beschulung von beeinträchtigten Kindern ist deren Aussonderung. Das Buch „Behindert und Stolz. Warum meine Identität politisch ist und Ableismus uns alle etwas angeht“ kann ich als Lektüre sehr empfehlen.

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