Offener Brief an Herrn Wilfried Oellers – zur Ausgleichsabgabe

Sehr geehrter Herr Wilfried Oellers, Ihre Aussage zur Einführung einer vierten Stufe der Ausgleichsabgabe wirft, wohl nicht nur bei mir, Fragen auf. Sie schreiben in einer Pressemitteilung :

Es gibt mit der geplanten vierten Staffel der Ausgleichsabgabe aber auch eine große Schwachstelle. Nach der Bundesagentur für Arbeit standen im Jahr 2020 knapp 300.000 unbesetzten Pflichtarbeitsplätzen knapp 170.000 arbeitslose schwerbehinderte Menschen gegenüber. So lange also bei weitem nicht alle Pflichtarbeitsplätze besetzt werden können, läuft die Erhöhung der Ausgleichsabgabe ins Leere”.                                                                                

Meine Frage dazu: Warum beziehen Sie sich auf Zahlen aus 2020 und nicht auf Zahlen vom November 2022?  Diese Zahlen gibt es, zumindest für die Zahl schwerbehinderter arbeitsloser Menschen, sogar öffentlich. Es sind knapp 160.000, glaubt man der offiziellen Arbeitslosenstatistik. In dieser sind aber die Werkstattbeschäftigten nicht enthalten. Bei Ihrer Angabe fehlen also rund 300.000 Menschen. Daraus folgt nicht  dass 130.000 Pflichtarbeitsplätze, nicht besetzt werden können, wie Sie indirekt behaupten. Vielmehr geht es um 170.000 Pflichtarbeitsplätze, die fehlen.

Nimmt man die offizielle Arbeitslosenstatistik ist die Arbeitslosigkeit bei behinderten Menschen prozentual fast doppelt so hoch wie bei nichtbehinderten Menschen Wenn wir den Wortlaut des Artikels 27 der UN-BRK auf die BRD anwenden, in der es kein allgemeines Recht auf Arbeit gib dürfte es ca. 80.000 arbeitslose behinderte Menschen in der BRD geben.  

denn In Artikel 27 heißt es: 

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten sichern und fördern die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, einschließlich für Menschen, die während der Beschäftigung eine Behinderung erwerben, durch geeignete Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um unter anderem

a) Diskriminierung aufgrund von Behinderung in allen Angelegenheiten im Zusammenhang mit einer Beschäftigung gleich welcher Art, einschließlich der Auswahl-, Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen, der Weiterbeschäftigung, des beruflichen Aufstiegs sowie sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen, zu verbieten;

b) das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, einschließlich Chancengleichheit und gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit , auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, einschließlich Schutz vor Belästigungen, und auf Abhilfe bei Missständen zu schützen;

c) zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen ihre Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte gleichberechtigt mit anderen ausüben können;

d) Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu allgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungsprogrammen, Stellenvermittlung sowie Berufsausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen;

e) für Menschen mit Behinderungen Beschäftigungsmöglichkeiten und beruflichen Aufstieg auf dem Arbeitsmarkt sowie die Unterstützung bei der Arbeitssuche, beim Erhalt und der Beibehaltung eines Arbeitsplatzes und beim beruflichen Wiedereinstieg zu fördern;

f) Möglichkeiten für Selbständigkeit, Unternehmertum, die Bildung von Genossenschaften und die Gründung eines eigenen Geschäfts zu fördern;

g) Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Sektor zu beschäftigen;

h) die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im privaten Sektor durch geeignete Strategien und Maßnahmen zu fördern, wozu auch Programme für positive Maßnahmen, Anreize und andere Maßnahmen gehören können;

i) sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden;

j) das Sammeln von Arbeitserfahrung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch Menschen mit Behinderungen zu fördern;

k) Programme für die berufliche Rehabilitation, den Erhalt des Arbeitsplatzes und den beruflichen Wiedereinstieg von Menschen mit Behinderungen zu fördern…

(2) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen nicht in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden und dass sie gleichberechtigt mit anderen vor Zwangs- oder Pflichtarbeit geschützt werden.” 

Zählt man die in Werkstätten Beschäftigten zu den Arbeitslosen hinzu, weil sie bis jetzt noch keinen Arbeitsplatz am regulären Arbeitsmarkt bekommen, haben, dann sind prozentual fünfmal so viele behinderte Menschen arbeitslos, wie nichtbehinderte Menschen.

Nach meiner Ansicht ist die Einführung einer 4. Stufe der Ausgleichsabgabe in keinster Weise ausreichend vielmehr müsste die Quote die Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeiter*innen verpflichtet 5% behinderte Menschen zu beschäftigen. wieder auf 6% heraufgesetzt werden, wie es vor 1992 bereits einmal der Fall war. Darüber hinaus müssten meiner Ansicht nach die Sätze der Ausgleichsabgabe massiv erhöht werden auf die Höhe eines durchschnittlichen Bruttolohns.  Außerdem müssten Arbeitgeber, welche die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung umgehen, die Enteignung nach Artikel 15 GG drohen.

Noch eine Allgemeine Anmerkung: leider wurde 1990 die Chance verpasst den Artikel 24 der DDR-Verfassung ins Grundgesetz zu übernehmen. Dieser lautete: 

Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation. Er hat das Recht auf Lohn nach Qualität und Quantität der Arbeit.”

In einer gegenderten Form wäre der Artikel bei vollständiger Umsetzung eine Umsetzung der UN BRK, Im Bereich Arbeit welche von der Bundesrepublik Deutschland 2009 unterzeichnet wurde.

Ich fordere Sie auf:

  • Setzen Sie sich dafür ein, die UN-BRK in der BRD unverzüglich umzusetzen
  • Stellen Sie Ihre Lobbytätigkeit für Unternehmen, die ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, ein!
  • Beenden Sie Ihre Fürsprache für den Erhalt von Werkstätten!
  • Ausgleichsabgabe

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